Silencing the Noise:
Caline Aoun

Unsere Vorstellung von neuer, digitaler Kunst ist zumeist, dass sie m�glichst effektgeladen und leicht konsumierbar ist. Und auch die VR Brille, mit der sich Museumsbesucher in neue virtuelle Welten vorantasten, geh�rt inzwischen zu den Zeichen der Zeit. Die Libanesin Caline Aoun zeigt ab November 2019 im PalaisPopulaire ihre gro�e Einzelausstellung als „K�nstlerin des Jahres“ der Deutschen Bank 2018/19 – und beweist, dass digitale Kunst haptisch sein und ganz neue Formen von Stille und Erkenntnis bringen kann. Eine Begegnung.
Eine Begegnung mit Caline Aoun wirft alles �ber den Haufen, was mit den �blichen Klischees von Kunst im digitalen Zeitalter zu tun hat. Die Virtual-Reality-Brillen, die in Museen und auf Biennalen h�ngen, die „immersiven“ R�ume, in denen Besucher computergesteuert mit k�nstlichem Regen, Lichteffekten und Animationen �berflutet werden – all das erscheint im Gespr�ch mit ihr schon bald gar nicht mehr so zeitgem��. Auch die im Kunstbetrieb verbreitete Ansicht, dass die kreative Antwort auf neueste Technologie auch den Einsatz neuester Technologie erfordere, kommt einem zweifelhaft vor. Aoun ist gerade in Berlin, um ihre Ausstellung als „K�nstlerin des Jahres“ der Deutschen Bank 2018/19 im PalaisPopulaire vorzubereiten, die im November er�ffnet wird. Nach seeing is believing im MAXXI in Rom wird dies die erste gro�e Einzelpr�sentation der 36-j�hrigen libanesischen K�nstlerin in Deutschland sein.

Aoun sitzt an einem langen Holztisch vor einem Glas Wasser. Sie spricht �ber ihre Arbeiten, �ber dieses Gef�hl von �bers�ttigung mit Daten und Informationen, die man, wie sie sagt, „im Inneren sp�rt“. Dabei erscheint sie klar und unpr�tenti�s – das Gegenteil von vielen K�nstlern ihrer Generation, die mit digitalen Medien, Genen oder neuen Silikonverbindungen experimentieren und auftreten wie Unternehmer, Wissenschaftler oder Designer.

Auch Aouns reduzierte Arbeiten wirken auf den ersten Blick �berhaupt nicht „digital“. Sie bestehen zumeist aus Papier, manchmal auch aus Pappmaschee, Kupfer oder Beton. Stets haben sie etwas Tempor�res, Fl�chtiges. Und immer arbeiten sie mit dem Raum. Ihre die ganze Ausstellungshalle f�llende Installation in Rom wirkte, als h�tte sich Aoun an einen Rechner gesetzt und eine pixelige, abstrakte Landschaft ausgedruckt. Eine malerisch anmutende Rastertapete aus einzeln bedruckten, farbig leuchtenden DIN A3-Bl�ttern, die die gesamte Wand bedeckt. Die fast teerschwarze, samten wirkende Fl�che splittert sich in immer mehr in Farbfelder auf, in tintiges Graublau, sattes Cranberry-Rot, Violett. Doch dieses Gef�hl von Opulenz und W�rme weicht. Immer mehr zersetzt sich das Ornament in schmaler werdende Balken aus Hellblau, T�rkis oder Gelb. Schlie�lich bleibt nur noch Wei�, �bers�t mit Schlieren und Spuren der leeren Druckerk�pfe, die �ber das Papier geschabt sind.

Nat�rlich kann man angesichts dieser „Tapete“ an Minimal und Concept Art denken, an eine Art digitale Farbfeldmalerei. Doch Aoun bezieht sich, wie sie selbst sagt, nicht auf diesen Kanon. Eigentlich ist Aoun von Texten inspiriert. Das Spektrum reicht dabei vom marxistischen Philosophen und Soziologen Henri Lefebvre, einem Vordenker der Studentenunruhen von 1968, der in seinen Schriften das Konzept eines „Rechts auf Stadt“ f�r alle entwirft, bis hin zu Medientheoretikern wie Marshall McLuhan oder Friedrich Kittler.

Es geht ihr gar nicht so sehr darum, mit dem Drucker neuartige abstrakte Formen zu entwickeln. Es handelt sich vielmehr, wie Aoun erkl�rt, um den „Kampf eines Bildes, das mit allen Kr�ften zu erscheinen versucht“. Tats�chlich entstehen diese Farbfelder durch v�llige �bers�ttigung, Ersch�pfung oder extremen Mangel: Aoun f�ttert ihre Drucker mit einem Overload aus Daten, druckt Gigabytes von Bildern aus, obwohl die Farbpatronen fast leer sind. Der Drucker versucht, wenigstens ein Bild in Schwarz-Wei� zu produzieren. Um den gew�nschten Schwarzton zu erreichen, bedient er sich aller verf�gbaren Farbreste, die nach und nach versiegen. F�r ihre Arbeit Paperplane (2012) aus der Sammlung Deutsche Bank hat Aoun gefaltetes Papier durch einen Industriedrucker geschoben, der nat�rlich blockierte. Ein Akt der Gewalt, auch f�r die K�nstlerin, die das verhakte Papier aus dem Drucker zerren musste. Statt ein „Bild“ zu machen, hinterlie� er Farbreste an den Faltkanten und bespr�hte das Papier in feinen Blauabstufungen. Es sind die Spuren der Maschine, Rei�- und Druckspuren zu sehen – sozusagen ein abstrakter Ausnahmezustand. Da, wo das digitale Bild wie von Zauberhand aufscheinen soll, bringt Aoun die Hardware ins Spiel: den K�rper, die Maschine, das Papier.

Ihre Werke entstehen genau dort, wo die Illusion der digitalen Perfektion in sich zusammenf�llt, wo Systeme, Daten- und Informationsfl�sse kollabieren, umkippen. So auch bei ihrer Font�ne (2018), einem Brunnen, durch den die Reste aus Druckerpatronen gepumpt werden – Cyan, Magenta und Gelb –, bis sie allm�hlich zu einer schwarzen Masse zerflie�en, die im Laufe der Ausstellung eintrocknet und verklebt. Auf die Frage, ob der Brunnen, �hnlich wie die Drucke, mit der �bertragung und Zirkulation von Daten zu tun habe, antwortet Aoun: „Was sind Daten? Sie sind pure Information. Doch anstatt mich lediglich um die Information zu k�mmern, die Daten in sich tragen, interessiere ich mich mehr f�r die materielle Dimension der Digitalisierung – wie dieses Proton von Information eine Vision in sich tr�gt, von Glauben, Zukunft, welche ganz handfeste, greifbare Konsequenzen es in sich birgt.“

In einer Welt, in der Daten geleakt werden, durchsickern, auslaufen, in der digital ganze Volksverm�gen, Massen von Waren und Menschen bewegt werden, behandelt Aoun Daten „als Materie, als pures Material“. In diesem Sinne sind die Pigmentpartikel der Druckertinte genauso „Datentr�ger“ wie die digital gespeicherten Informationen, die der Drucker als „Bild“ auf das Papier bringt. Wenn Aoun den Silikonabdruck einer Wand auf der Baustelle des PalaisPopulaire nimmt oder die Piniennadeln auf der Stra�e vor ihrer Haust�r in Kupfer nachgie�t und ausstellt, ist das ein Datentransfer. Und zwar genauso, als wenn sie ein Videobild mit einer Webcam vor ihrem Fenster in Beirut aufnimmt und live in ihre Berliner Ausstellung �bertr�gt.

Welche Daten sie interessieren? „Ich sehe mir immer die Daten genau an, die mir am n�chsten sind“, antwortet Aoun. So habe sie 2015 f�r ihre Arbeit Datascape Frachtdaten aus dem Hafen in Beirut gesammelt, weil ihre Galerie damals gleich am Hafen lag. „Ich musste auf die Informationen um mich herum reagieren.“ Im Moment, erz�hlt Aoun, besch�ftige sie sich mit Technologien wie der Apple Watch, die K�rperfunktionen wie Atem, Puls und Schritte misst und die Daten direkt an den Tr�ger �bermittelt – ein hochgradig enger Datenkreislauf.

Im PalaisPopulaire plant sie, ein komplexes Zirkulationssystem von Brunnen zu installieren, das sich untereinander austauscht und im Laufe der Ausstellung allm�hlich �bers�ttigt, schwarz verf�rbt. „Je mehr man Videos auf YouTube ansieht, googelt, Daten empf�ngt, umso mehr gibt man auch Daten her, ohne es zu merken“, sagt sie. „Das ist auch der Grund, weshalb alles umsonst und so leicht zug�nglich ist, weil sie die Informationen von dir brauchen. Aber ich besch�ftige mich mit dieser Frage, die auch meine Arbeit betrifft: Was passiert, wenn eines Tages der Hunger nach Daten v�llig ges�ttigt oder sogar �bers�ttigt ist?“ Immer wieder spricht Aoun von dem Overload an Bildern und Daten als „L�rm“, der mehr oder weniger unterschwellig unsere gesamte Umgebung pr�gt. Das minimalistische, abstrakte Erscheinungsbild ihrer Kunst sei eher so etwas wie das Herunterbrechen dieses Rauschens. „Das ist ein Weg f�r mich, neue Erfahrungen, Formen von Stille, Leerstellen zu erzeugen.“ In diesem Moment wird deutlich, dass Aoun, anstatt dem medialen L�rm noch mehr Lautst�rke hinzuzuf�gen, ihn in ihrer Arbeit kondensiert, ihm eine greifbare materielle Form gibt. Eine Form, die es erm�glicht, sonst kaum greifbare Zusammenh�nge sinnlich zu erfassen, zu �berdenken. Aouns Werke k�nnen als abstrakte Sinnbilder f�r die Konsumexzesse und den zugleich extremen Mangel im globalen Kapitalismus gelesen werden, den Informationsterror einer Welt, die aus dem Gleichgewicht geraten ist. Dabei bilden sie nicht lediglich etwas ab, sondern sind selbst physische Ereignisse. Man sp�rt die mechanische Gewalt, die sie ihren Druckern antut, um das Rauschen zum Schweigen zu bringen. Und ist erstaunt �ber die unglaubliche Sch�nheit, die durch die �berforderung und den Zusammenbruch eines Systems entstehen kann. „Meine Werke m�gen ziemlich abstrakt sein“, sagt Aoun, „doch zugleich �hneln sie etwas sehr Realem.“

Caline Aoun
Deutsche Bank's "Artist of the Year" 2018/19

15.11.2019–2.3.2020
PalaisPopulaire