Im tiefen Tal der k�nstlichen Intelligenz
“Uncanny Valley: Being Human in the Age of AI” in San Francisco

Eine von der Deutschen Bank gef�rderte Ausstellung im de Young Museum in San Francisco besch�ftigt sich mit der unheimlichen Seite k�nstlicher Intelligenz. Und zeigt, dass es nicht Cyborgs oder Terminatoren sind, die unsere Zukunft beherrschen werden. Von Oliver Koerner von Gustorf
1970 schuf der japanische Ingenieur Masahiro Mori den Begriff „Uncanny Valley“. Dieses „unheimliche Tal“ ist eigentlich eine Abw�rtskurve in einem statistischen Diagramm, das die Ergebnisse seiner Studie zeigte. Mori, ein Pionier der Robotik, fragte Probanden nach ihren Emotionen gegen�ber Robotern. Und fand Erstaunliches heraus. Solange die Roboter nicht sehr menschen�hnlich aussahen, konnten sie smart sein und alle m�glichen Funktionen ausf�hren. Dabei l�sten sie sogar Empathie bei den Probanden aus. Doch je beweglicher und menschen�hnlicher sie wirkten, desto unheimlicher und absto�ender empfanden es die Befragten. Technologie hat eine dunkle, unheimliche Seite.

Die Fantasie, dass Maschinen die Herrschaft �bernehmen, hat nicht nur wie in Fritz Langs Metropolis schon die Moderne befl�gelt, sondern auch Hollywood und die Popkultur des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts gepr�gt. Vom mordenden Bordcomputer HAL in 2001: Odyssee im Weltraum (1968) �ber die Cyborgs in Blade Runner (1982) und dem Zyklus der Alien-Filme bis zu den revoltierenden Robotern in der aktuellen HBO-Serie Westworld hat sich das „Uncanny Valley“ best�ndig um neue Sinnbilder einer bedrohlichen k�nstlichen Intelligenz erweitert, die st�rker, schlauer, schneller ist als wir.

Die von der Deutschen Bank unterst�tzte Ausstellung Uncanny Valley: Being Human in the Age of AI im de Young Museum in San Francisco findet nur unweit des Silicon Valley statt, das von vielen auch als „uncanny“, also unheimlich, empfunden wird. Nicht wegen Maschinen, die die Menschheit beherrschen, sondern wegen der k�nstlichen Intelligenzen, die hier entwickelt werden. Und deren Realit�t sieht im Zeitalter von Clouds, Machine Learning und Big Data noch viel komplexer aus als die psychologisierten Science-Fiction-Versionen. Die internationalen K�nstler in dieser Schau reagieren nicht mehr auf die von Hollywood befeuerte Idee von k�nstlichen Lebensformen, die die Menschheit ausl�schen, Arbeitern den Job wegnehmen, den Partner oder die Krankenschwester ersetzen. „Unsere Leben werden immer mehr von Algorithmen bestimmt, die unsere Daten aufsp�ren, sammeln, bewerten und vermarkten“, erkl�rt die Kuratorin des de Young Museums, Claudia Schmuckli. „Das ‚Uncanny Valley‘ hat sich um unsichtbare Mechanismen von Verhaltenskonditionierung und Automation erweitert. Indem sie den Fokus auf die Realit�t der M�glichkeiten und Fallen von KI lenken, versuchen die K�nstler in dieser Ausstellung, den Diskurs um k�nstliche Intelligenz zu vertiefen.“

Kurz gesagt, Uncanny Valley erforscht keine Zukunftsvisionen, sondern die Unheimlichkeit und die M�glichkeiten von der heute bereits genutzten KI. Das sind k�nstliche neuronale Netze aus sogenannter „Narrow Artificial Intelligence“, oder „enger KI“, die zwar lernt, aber sich immer nur einer sehr begrenzten Aufgabe widmet, etwa Bilder, Texte oder T�ne zu erkennen und zu kategorisieren. Doch aus der Verkn�pfung dieser begrenzten Intelligenzen entstehen Anwendungsm�glichkeiten, die unsere Gesellschaft radikal ver�ndern. Entwickelt werden sie im Silicon Valley. Doch paradoxerweise ist dies die erste Ausstellung, die in Kalifornien die Ver�nderung unserer Gesellschaft durch KI thematisiert.

Dazu geh�ren die neuesten, mit KI arbeitenden Deepfake-Technologien, die Christopher Kulendran Thomas und Annika Kuhlmann f�r ihre Filminstallation Being Human (2019) nutzen, in der neben dem K�nstler Oscar Murillo auch Taylor Swift auftritt und erkl�rt: „Jeder beansprucht f�r sich Authentizit�t und jeder K�nstler, jede K�nstlerin glaubt, dass sie echt ist. Ich glaube auch, dass ich einzigartig bin in dem, was ich tue. Aber das ist das Paradox. Auch alle anderen tun das.“

Doch viele der Arbeiten besch�ftigen sich kritisch mit der Datenflut, die immer mehr von k�nstlicher Intelligenz ausgewertet und vermarktet wird. So auch Lynn Hershman Leesons Installation Shadow Stalker (2019), bei der man zun�chst aufgefordert wird, an einem Terminal seine E-Mail-Adresse einzugeben. Daraufhin starten Suchmaschinen, die unz�hlige, auch l�ngst vergessene pers�nliche Spuren aus dem dazugeh�rigen digitalen Profil recherchieren und in einen menschen�hnlichen Schatten auf dem Boden projizieren: Telefonnummern, aktuelle und vergangene Adressen, Lebensl�ufe, Bankverbindungen. Auch Menschen, die ihre digitale Privatsph�re sch�tzen, werden hier �berraschende, l�ngst vergessene Informationen finden.

Wie viele Beitr�ge in der Ausstellung bezieht sich die Arbeit der US-Amerikanerin auf eine neue �konomie, in der Daten der wichtigste Rohstoff geworden sind. So zitiert Claudia Schmuckli im Katalog den von der Harvard-Professorin und Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff gepr�gten Begriff des �berwachungs-Kapitalismus, „einer neuen Marktform, die menschliche Erfahrung als kostenlosen Rohstoff f�r ihre versteckten kommerziellen Operationen der Extraktion, Vorhersage und des Verkaufs reklamiert. Anstatt Bergbau in nat�rlichen Umgebungen zu betreiben, gewinnen �berwachungskapitalisten ihre Rohstoffe aus der menschlichen Erfahrung.“

Rohstoffe, das sind auch Bilder oder T�ne, mit denen KI trainiert wird, wie etwa Trevor Paglens 2019 entstandene Arbeit They Took the Faces from the Accused and the Dead... (SD18) zeigt. Sie besteht aus �ber 3.000 Polizeifotos von Tatverd�chtigen, sogenannten Mugshots. Diese Bilder aus Datenbanken werden von KI-Entwicklern angezapft, um ihre Algorithmen zu f�ttern und Programme zur Gesichtserkennung zu trainieren, ohne irgendein Einverst�ndnis der Fotografierten. Auf seiner Arbeit hat Paglen die Tatverd�chtigen mit Balken demonstrativ anonymisiert.

Diesem frontalen Ansatz stehen komplexere Erz�hlungen zur Seite, wie etwa Hito Steyerls The City of Broken Windows (2018), das aus zwei Videos besteht: Broken Windows zeigt den K�nstler-Aktivisten Chris Toepfer, der in Camden, New Jersey, mit seiner Neighborhood Foundation kaputte oder mit Brettern vernagelte Fenster in vernachl�ssigten und verlassenen Wohngegenden mit bunten Bildern �bermalt, um weiteren Vandalismus zu verhindern. Das zweite Video, Unbroken Windows, zeigt einen alten Hangar in Cambridge, England. Hier trainiert die Firma Audio Analytic ihre KI, das Ger�usch von zersplitterndem Glas zu identifizieren, um so f�r Alarmanlagen und Sicherheitssysteme einsetzbar zu werden. In Testsituationen werden immer wieder neue Fensterrahmen und -scheiben mit dem Vorschlaghammer zertr�mmert. Das zerbrochene Fenster als Zeichen sozialen Zerfalls nimmt hier verschiedene Deutungsebenen an: Die Graswurzel-Bewegung, die mit ihren Reparaturen f�r den Erhalt von Nachbarschaften und Communities steht, und die High-Tech-Anwendungen, f�r die Fenster zerschlagen werden, um privilegierten Besitz zu sch�tzen, anstatt sich um die L�sung der eigentlichen Probleme zu k�mmern.

Dabei hatte es mit den neuen Technologien so sch�n angefangen. The Doors, die 2019 entstandene Installation von Zach Blas, bezieht sich auf die Hippie-Urspr�nge des Silicon Valley, die anf�ngliche Idee, dass das Internet wie eine einzige globale Bewusstseinserweiterung wird, die alle Menschen und Kulturen miteinander verbindet. Als ironische Geste f�tterte Blas neuronale Netzwerke mit Bildern von psychedelischen Postern aus den Sixties. Deren KI-Neuinterpretationen flackern jetzt �ber Videomonitore in einer Art Gartenoase, in der sich New Age und Corporate-Kultur kreuzen, in der Glast�ren, Palmen und der Kunstrasen zum Mandala-Logo zurechtgestutzt sind. Dazu wird von KI zusammengesampelte Lyrik zitiert, aus einigen wenigen Songtexten der Doors und ganz vielen Werbetexten f�r Gehirndoping-Pr�parate, die im Silicon Valley in Massen konsumiert werden, um dem Leistungsdruck zu entsprechen.

Sch�ne neue Arbeitswelt – ebenso wie die mit Hilfe von KI tanzenden B�rost�hle von Urs Fischer. Oder Simon Dennys Skulptur und Collagen zu einem von KI gesteuerten K�fig, den Amazon 2016 f�r seine Mitarbeiter*innen patentieren lassen wollte, um sie in den riesigen Lagerhallen vor Unf�llen mit Robotern zu sch�tzen. Dennys lebensgro�er Nachbau in der Ausstellungshalle erinnert an die Science-Fiction-Version eines F�rderkorbs, mit dem man in ein Bergwerk einf�hrt. Das ist eine Anspielung auf die Arbeitsbedingungen bei Amazon, aber auch auf den aggressiven Raubbau von nat�rlichen Ressourcen wie Lithium oder den Datenraubbau, der �ber sogenannte internetbasierte, intelligente pers�nliche Assistenten wie Siri oder Alexa stattfindet, die unser Konsumverhalten registrieren und steuern – und sogar mith�ren k�nnen.

Denny, der aus Neuseeland stammt und in Berlin arbeitet, hat einen kleinen Vogel in dem K�fig installiert – den fast ausgestorbenen King Island Brown Thornbill, den die Besucher aber nur sehen k�nnen, wenn sie mit der Kamera eines iPads per Augmented Reality durch das Gitter blicken. Der virtuelle Vogel ist nicht nur eine Anspielung auf den K�fig. Denn traditionell nahmen Bergleute V�gel als Warnsignal gegen geruchsloses Kohlenmonoxid mit in den Schacht. Wenn die V�gel erstickt von der Stange fielen, drohte Gefahr. Die Frage ist also: Wie weit k�nnen wir gehen? Uncanny Valley ist eine engagierte, oft polemische und zugleich didaktische Ausstellung. Doch egal, ob man sich dieser kritischen Sicht auf den �berwachungskapitalismus anschlie�en m�chte oder nicht, wird das „Uncanny Valley“ von heute deutlich – eine k�nstliche Intelligenz, die weit davon entfernt ist, menschlich zu sein.

Uncanny Valley:
Being Human in the Age of AI

bis 25. Oktober 2020
de Young Museum
Fine Arts Museums of San Francisco