Clash der Linsen
Afrikanische Gegenwartsfotografie in der Ausstellung "Time Present"

Dass afrikanische Gegenwartsfotografie in der Sammlung Deutsche Bank eine wichtige Stellung einnimmt, liegt auch an dem 2019 verstorbenen Kurator Okwui Enwezor. Oliver Koerner von Gustorf �ber die Rolle Enwezors und Werke, die westlichen Vorurteilen �ber Afrika und falschen Darstellungen neue, komplexere Bilder entgegensetzen.
Mit dem Krieg gingen auch die Bilder der alten Kolonialherren zu Bruch. Die Aufnahmen der s�dafrikanischen Fotografin Jo Ractliffe, die als Teil einer gr��eren Auswahl afrikanischer Gegenwartsfotografie gerade in der Ausstellung Time Present zu sehen sind, entstanden 2007, f�nf Jahre nach dem Ende des 30-j�hrigen B�rgerkriegs in Angola. Sie zeigen die Spuren des Kriegs in der Hauptstadt Luanda. Heute ist die Metropole eine der teuersten und wohlhabendsten St�dte Afrikas. Doch Ractliffes sensible Aufnahmen von zerst�rten Kachelbildern in einem Prunksaal sprechen von alten Wunden, die viel tiefer reichen als der Krieg. Die mit Rissen durchzogenen stereotypen Motive der ehemaligen portugiesischen Kolonialherrscher zeigen, wie stereotyp Europa auf Afrika sah: ein mythischer, dunkler Ort voller wilder Tiere, gezeichnet vom Kampf ums �berleben. Hier herrscht das Recht des St�rkeren als nat�rlicher Zustand. In diesem Sinne herrschen die Wei�en �ber die Schwarzen.  
 
„Im Westen zu leben, hei�t mit dem b�sartigen Blick, den die Medien auf Afrika werfen, auf fast intime Weise vertraut zu werden, schonungslos mit ihm konfrontiert zu sein“, schrieb Okwui Enwezor 2006 im Katalog zu seiner bahnbrechenden Ausstellung Snap Judgments: New Positions in Contemporary African Photography. Was er damit meinte, waren Fotografien, die �ber Dekaden das Bild von Afrika in den westlichen Industriestaaten pr�gten. Entweder wurde der Kontinent als eine prek�re, von Hunger, Krankheiten und B�rgerkriegen geplagte Region gezeigt – als ein „dunkler“, von Katastrophen heimgesuchter Ort, dessen Bewohner*innen st�ndig nur um ihr Leben k�mpfen und wenig zum Fortschritt der Menschheit beizutragen haben. Oder da waren unber�hrte, scheinbar menschenleere Landschaften, die wie urspr�ngliche Paradise aussahen. „Afro-Pessimismus“ nannte Enwezor diese Perspektive, die es schier unm�glich macht, die aktuelle Wirklichkeit des Kontinents zu erfassen.

Mit seinen zahlreichen Ausstellungen und Essays zur afrikanischen Fotokunst wollte der in Nigeria geborene Kurator die kolonialen und rassistischen Strukturen infrage stellen, die dieses Bild pr�gen. Enwezor forderte komplexere intellektuelle Debatten und Repr�sentationen in der Fotografie, die „mit Afrika eine ebenso reiche wie schwierige Beziehung hat.“ Wie andere Afrika sehen und Afrikaner*innen selbst ihre Welt fotografieren, verglich er mit einem „Clash der Linsen“, dem Aufeinanderprallen v�llig unterschiedlicher Wahrnehmungen.

Drei Jahre nach Snap Judgments wurde er 2009 Mitglied des Deutsche Bank Global Art Advisory Council. Das Gremium aus internationalen Kurator*innen ber�t bei Ank�ufen f�r die Unternehmenssammlung und spricht die Empfehlung f�r die Auszeichnung „Artist of the Year“ der Deutschen Bank aus. Er blieb bis zu seinem Tod 2019 in dieser Position und pr�gte durch sein Engagement f�r aktuelle afrikanische Kunst und Fotografie �ber eine Dekade das Gesicht der Sammlung mit. Auch durch Enwezor wurde aktuelle Fotografie aus Afrika zu einem Sammlungsschwerpunkt.

Deutlich wird das in der Ausstellung Time Present im PalaisPopulaire, in der bedeutende afrikanische Fotok�nstler*innen vertreten sind. So auch Samuel Fosso, der inzwischen international bekannt ist. Das war harte Arbeit: Seit Mitte der siebziger Jahre setzt sich der Fotograf in seinem „Studio Convenance“ im zentralafrikanischen Bangui selbst in Szene – v�llig unabh�ngig von westlichen Vertreter*innen k�nstlerischer Selbstinszenierung wie etwa Cindy Sherman. In seinen h�ufig ironisch gebrochenen Bildern verk�rpert Fosso die unterschiedlichsten fiktiven und historischen Rollen. Ob er sich als Golfspieler oder Disco Kid, Malcolm X oder „H�uptling, der Afrika an die Kolonialisten verkauft hat“, inszeniert – immer benutzt er afrikanische Kulturgeschichte wie eine Requisitenkammer.

Ein anderer prominenter Fotograf ist der in Bamako und Paris lebende Mohamed Camara, der wegen seines jungen Alters als „Wunderkind“ der afrikanischen Fotoszene galt. In Time Present ist ein 2012 entstandenes Bild aus seiner Serie Souvenirs zu sehen: eine Hand, die ein in einem Plastikbeutel schwimmendes Bild von einem jungen Fu�baller hochh�lt – Le foot pour moi, c�est dans l�eau (f�r mich ist der Fu�ball ins Wasser gefallen). Camara bat seine Familie und Freund*innen, f�r die Serie alte Fotos von sich beizusteuern, von Momenten, an die sie sich gerne erinnern. Diese Fotos wurden in kleine wassergef�llte Plastikbeutel verpackt, wie man sie in Mali zur Erfrischung am Stra�enrand kaufen kann. Dann fotografierte Camara die Menschen gemeinsam mit ihren wie in eine Zeitkapsel eingeschlossenen Erinnerungen.

�hnlich wie Camara, der f�r seine fotografischen Inszenierungen fast zuf�llige, unscheinbare Momente abpasst, entwickeln auch andere afrikanische K�nstler*innen aus ephemeren Augenblicken eine ebenso poetische wie politische Bildsprache. Da sind die sensiblen Aufnahmen, die Jo Ractliffe im angolanischen B�rgerkrieg gemacht hat, oder die auf einer vom Sonnenlicht verblichenen Tapete zur�ck gebliebenen Umrisse von Familienportr�ts, die die Marokkanerin Yto Barrada als Sinnbild kultureller Entwurzelung zeigt. Auch die Arbeit des Franko-Algeriers Kader Attia scheint auf den ersten Blick schnappschussartig, im wahrsten Sinne wie ein „Snap-Judgment“, ein schnelles Urteil, das man sich bildet. Doch der Mann, der im gelben Polohemd �ber Betonbarrikaden an der algerischen K�ste blickt, reflektiert auch das Verh�ltnis von Afrika zur „Festung Europa“.

In diesen Arbeiten in Time Present wie auch bei anderen Vertreter*innen afrikanischer Gegenwartsfotografie in der Sammlung Deutsche Bank, wie etwa den aus S�dafrika stammenden K�nstlern Thabiso Sekgala, Jabulani Dhlamini und Hasan und Husain Essop oder der �gypterin Maha Maamoun, zeichnet sich eine eigenst�ndige, assoziative Bildsprache ab, die sich l�ngst von der „vampiristischen Maschine“ gel�st hat, wie Enwezor die westliche Medienfotografie bezeichnet hat.

Zugleich verbindet diese unterschiedlichen fotografischen Ans�tze aus v�llig verschiedenen Regionen des Kontinents ein gemeinsamer Aspekt. Sie alle setzen sich mit dem Erbe des Kolonialismus, den nicht erf�llten Versprechen einer post-kolonialen Bewegung und dem Anspruch auf eine unabh�ngige afrikanische Moderne auseinander. Immer gilt es dabei, dem touristischen oder kolonialen Blick komplexere und fragmentierte Bilder, Symbole und Erz�hlungen entgegenzusetzen. F�r Enwezor ging es dabei auch darum, endlich mit den westlichen Vorurteilen �ber Afrika und falschen Darstellungen aufzur�umen, die gro�e westliche Autor*innen und Philosoph*innen wie Hegel, V. S. Naipaul oder Joseph Conrad zementiert hatten. Es ginge um nicht weniger, schrieb er, als darum, „ein ganzes intellektuelles Geb�ude niederzurei�en und mit ihm eine scheinbar unumst��liche Weltsicht.“

Time Present
Photography from the Deutsche Bank Collection

bis 08.02.2021
PalaisPopulaire, Berlin